Kennt ihr das Gefühl, das ein Raum sich noch im Tiefschlaf befindet?
Bei meinem letzten Besuch bei meiner Schwester, die gerade umgezogen ist, hatte ich mal wieder so ein kleines Dornröschen-Schlüsselerlebnis.
Wie so oft nach Umzügen gab es auch bei ihr einrichtungstechnisch mehrere Baustellen und Bedarf an vielen Ecken der Wohnung, aber das größte "Problem" war das neue, traumhaft große Wohnzimmer. Der helle Raum mit einer wunderbaren Aussicht ins Grüne wirkte irgendwie zu groß, unbelebt und ungemütlich. Das Raumpotential befand sich sozusagen noch im Tiefschlaf und wartete darauf, aufgeweckt zu werden.
Nun fehlten auch noch die meisten Möbel, so dass sich vorübergehend Büchertürme die Wand entlang stapelten, die gemeinsam mit noch auszupackenden Kartons und anderem Kram auf ihren späteren Bestimmungsort warteten.
Aber erfahrungsgemäß lassen sich auch im heftigsten Chaos-Hot-Spot Inseln der Gemütlichkeit schaffen, wenn man nur ein paar Regeln befolgt:
Meine drei Chaos-Insel-Regeln
1. Strukturen schaffen.
Das Chaos der Umgebung lässt sich optisch eindämmen indem man Zonen definiert in denen organisierte Unordnung erlaubt ist. Hier dürfen sich Bücher oder Kartons (möglichst gleichmäßig) türmen und Dinge, über die noch entschieden werden muss, stapeln. Alles, was nicht in den Raum gehört und von dem man bisher fand, dass sich die Mühe nicht lohnt, sollte wieder weggeräumt werden. Ähnliches gilt auch für Werkzeug, dass womöglich in einer Ecke noch auf weitere Einsätze wartet. Da sich in Umzugs-Hoch-Zeiten meist in jedem Raum mindestens eine solche Ecke findet, rate ich sehr dazu, sich auf einen einzigen Ort festzulegen (möglichst im Flur) und nach getaner Arbeit immer brav alles zurückzulegen. Das hat besonders dann Vorteile, wenn man mal wieder ganz schnell den passenden Schraubenzieher sucht oder zum 1000. Mal den obligatorischen Zollstock...
2. Dazwischen aufräumen.
Voraussetzung für die positive Wirkung von Regel eins ist allerdings, dass zwischen den organisierten Chaos-Zonen luftig-leere Nichts-Zonen angelegt werden oder mit anderen Worten gewissenhaft aufgeräumt wird! Das erfordert zugegebenermaßen ein bisschen Disziplin, dafür ist die Raumwirkung enorm und man wird mit einem Gefühl "wieder aufatmen zu können" belohnt.
3. Blickfelder komponieren.
Nun kommt der schönste Teil: Die Möbel, die bereits vorhanden sind an ihren/den richtigen Platz stellen und mit passenden Accessoires zu einem stimmigen Bild gruppieren, an dem sich der Blick erfreuen kann (und abgelenkt wird vom unfertigen Rest des Raumes). Für alle die keine reine Dekoration mögen (und zu denen ich mich im Prinzip auch zähle) gilt, es lassen sich auch mit sinnvollen Gegenständen und Möbeln sparsame Stimmungsbilder arrangieren, die das (mein) Herz erfreuen.
Der Raum wacht auf
Nach Besichtigung des Wohnzimmers meiner Schwester dauerte es keine Stunde, bis ich anfing die erste der Regeln anzuwenden, nicht zuletzt deshalb, weil ich vorhatte in dem Raum auch zu schlafen.
Ich fing also an, alles was nicht in den Raum gehörte, an seinen eigentlichen Platz zu räumen, fasste die bisher gleichmäßig verteilte Deko auf der Fensterbank zu ein paar wenigen Gruppen zusammen, holte aus anderen Zimmern ein, zwei Stücke dazu, verrückte Sitzmöbel um ein paar entscheidende Zentimeter und riet schließlich noch zur Investition in zwei Teppiche und Kissen, um farblich und haptisch die Bestandsmöbel einzubinden und optisch miteinander zu verflechten.
Und siehe da, der Raum begann sich zu recken und zu strecken und langsam aufzuwachen. Das mitzuerleben ist für mich immer wieder ein totales Geschenk. Das größte Glücksgefühl ging dabei von der Teppichcollage aus, die so eigentlich gar nicht geplant war. Ursprünglich war der Plan, einen großzügigen, hellen Teppich zu finden, für die Sofa-Sitzgruppe und einen weiteren für den Esstisch, um den Essplatz klar zu definieren.
Beim Testen zweier verschiedener Größen und Webarten stellte sich jedoch heraus, dass der große Raum einen großen Teppich verlangt, das Sofa dagegen nur eine mittlere Größe verträgt, der flachgewebte Favoritenteppich nicht weich genug und das fußfreundliche Schlaufen-Modell von der Farbe her nicht optimal war. Die Lösung erkannte ich erst beim Probeliegen: Sie bestand darin, beide Teppiche zu nehmen und dazu noch einen dritten, hochflorigen Teppich zu legen, der eigentlich an anderer Stelle eingesetzt werden sollte - und auf einmal passte alles.
Plötzlich machte der orangefarbene Lampenschirm Sinn und fiel der leichte Rosa-Stich des Sofas nicht mehr weiter auf. Sogar der Couchtisch, der eigentlich gar nicht mehr zum Einsatz kommen sollte, war nun mehr als ok. Und am besten gefiel mir, dass der Raum auf einmal durch die Proportionen und Lebendigkeit der verschiedenen Teppiche nicht mehr zu groß und ungemütlich wirkte, sondern angemessen. Ein weiterer Nebeneffekt war, dass auch alle anderen Entscheidungen, den Rest der Möbel betreffend, leichter getroffen werden konnten, weil plötzlich sichtbar wurde, was der Raum noch brauchte, um sein volles Potential zu entfalten.
Eben ein wachgeküsster Raum.